Da wird derzeit ein vor fünfhundert Jahren lebender, kleiner,
dicker, im ganzen unscheinbarer Mönch für etwas gefeiert, was er gar
nicht wollte. Eine Reform seiner Kirche „an Haupt und Gliedern“ wollte
er, heraus kam eine gewaltige und gewaltätige Spaltung nicht nur der
Kirche, sondern der ganzen Gesellschaft, ja des ganzen Kontinents, auf
dem der kleine Mann aus dem heiligen römischen Reich der tumben Nation,
herumscribierte. Die Legende von den Thesen an der Kirchentür ist wohl
vor allem eines: eine Legende eben, eine für die tumbe Nation, die bis
heute keine ist, sondern immer nur Volk blieb. Kann ja sein, daß man uns
weiß machen will, daß er als erster Mensch dieses große Legendenbuch
mit Geschichten für jeden Geschmack und jeden Zweck in die deutsche
Sprache übersetzt habe, aber wer weiß schon etwas von anderen Autoren
oder Ausgaben? Da gibt es die Bibel des Johannes Mentelin, gedruckt 1466
in Straßburg. Oder die des Heinrich Eggestein, ebenfalls vor 1470 in
Straßburg gedruckt. Oder die Bibeln von Günther Zainer von 1475 aus
Augsburg, oder die von Pflanzmann, Zainer und Sorg, ebenfalls alle aus
Augsburg? Erwähnt werden müssen natürlich auch die Kölner Bibeln
(1478/79) und die Lübecker Bibel von 1494, neben diesen gab es aber auch
noch eine ganze Reihe von weiteren Bibeln aus Augsburg, Nürnberg und
auch aus Halberstadt. Insgesamt sind es daher also wenigstens 18
gedruckte Bibelübersetzungen vor dem Herrn Luther.
Was aber
auffällt, ist die Tatsache, daß es oftmals Drucker waren, die diese
neuen, deutschen Versionen des Buches der Bücher herausbrachten. Also
keine Theologen. Und das kann ja mal gar nicht angehen. Menschen aus der
„normalen“ Gesellschaft. Unmöglich. Ganz und gar. Das schreit ja
geradezu nach einer autorisierten Version, von oben in Auftrag gegeben
und unters Volk gebracht von natürlich studiert habenden Theologen also.
War der dicke Martin nur ein Auftragsschreiber, Ghostwriter sozusagen?
Man muss es fast für möglich halten. Die Reinheit der Lehre, welcher
auch immer, ist zu wichtig. Immer.
In diesem Jahr wird also mit
größtmöglichem Trara hinausposaunt, welche kulturelle Großtat dieser
„Doctor“ als Erster vollbracht habe, wie gesehen entgegengesetzt zur
Wirklichkeit. Auch mag man ja wohl die Frage stellen, ob es wirklich
eine so sehr erwähnenswerte und herauszustellende Tat ist, diese
nahöstliche Textsammlung übersetzt zu haben.
Aber lassen wir es
gut sein. Viel wichtiger ist, was sonst noch so passierte. Im
Nachhinein. Damals. Als Folge von Herrn Luthers Großtat. Eins vor allem:
man griff die Gelegenheit beim Schopfe, als Landesherr natürlich nur,
um sein noch so kleines Territoriumchen gegen Kaiser und Papst
wenigstens ein bisschen souveräner wirken zu lassen. Das war doch
wirklich etwas Großes. Als Tat!
Nebenbei konnte man dann seine
vongottesgnaden Untertanen noch besser kujonieren, natürlich nicht nur
der Religion wegen -wegen der man sich ja später noch des öfteren auf
dem Felde der Ehre die Köpfe einschlagen sollte-, was man ja selber sehr
viel besser konnte und lieber selber zu machen sich gerne entschloss,
als der jeweilige örtliche „römische“ Statthalter. Und Aufstände, gar
von niederem Volk, Bauern gar, wollte man natürlich auch nicht, da half
dann auch der Doctor Martin gerne mit passendem Wortgeschwalle zur
natürlich gottgefälligen Begründung des Menschenschlachtens aus.
Was soll man also sonst noch so sagen. Zu dem wirklichen tollen (sic!)
Lutherjahr? Daß man sich ja hier wohl nur selber feiert! Seine Macht und
seine Pfründe, vor allem letztere, denn die sind ja den Herren und
Damen auf den Kanzeln das Wichtigste. Oder wie sagte es mal vor ein paar
Jahren ein studierter Wortverdreher aus der badenwürttembergischen
Kirchenobrigkeit im Fernsehen: „Das steht uns zu!“. Die Pfründe
natürlich und der Zehnte, der natürlich auch! Immerdar. Natürlich völlig
grundlos. Und mit nichts begründbar. Warum auch? Steht ihnen ja zu.
Denn wenn die es sagen, dann muss ja so sein und nicht irgendwie anders.
Das ginge ja gar nicht. Vor allem nicht in Tumbland.