Sonntag, 27. September 2015

Michel, der Träumer

Michel Träumer, der Deutsche, träumt er immer noch?

Der kleine Michel, der tief träumende Deutsche, war er nicht neulich von seiner lieben Mutti höchstpersönlich wieder in den sicheren Schlaf gewiegt worden? Doch, aber schon wieder einmal wurde sein tiefer, fester Schlaf gestört und Michel wachte auf. 

Was aber war passiert?

Draußen brauste ein Raunen durch das Land, hinundher gerissen zwischen der neuen Wohltätigkeit und der alten Unfreundlichkeit, die sonst in seinem Lande die Menschen ausmachte, jedenfallse die meisten von Ihnen. Die Fensterläden waren aufgeprungen und der Wind peitschte den Regen durch die kalte Nacht, ohne auf die Menschen der Flucht Rücksicht zu nehmen. Züge rollten auf Eisenbahnen und Busse brummten durchs Land, gefüllt mit Menschen, deren Augen große Hoffnung und ebensolches Bangen zeigten. Besonders bei den Kindern, die da unterwegs waren.

Die alte Hausmeisterin Raute, auch Mutti genannt, hatte mal wieder ihre Fahne in den Wind gehängt und so bemerkt, daß der Wind sich gedreht hatte. Mit großem Trara und viel Getöse trappelten Menschen aus fernsten Ländern durch die Weiten der Nachbarschaft und rüttelten auch an den Toren zu Michels geliebtem deutschen Lande. Wie kam es aber, daß die Tore weit aufstanden und des Michels Landesgenossen applaudierend am Wegesrande standen?

Ja, das konnte nur die Frau Raute sein, die dahinter steckte. Wieder einmal hatte sie eine ihrer vielen Meinungen geändert, und urplötzlich entschieden, die Grenztore aufzumachen und die vielen Menschen hereinzulassen. Der Michel aber, der nicht wusste, ob er sich fürchten oder freuen sollte, der stand da mit offenem Mund und sagte keinen Ton mehr. Nein, einen ganz kleinen Ton ließ sich doch noch vernehmen vom Michel: "Wie sollen wir das denn nur schaffen"? fragte er sich und die, die um ihn herum standen und ebenso wie er staunend die Geschehnisse betrachteten. Aber Michels Mutti verkündete im barschen Ton: "Wir schaffen das!" Wen sie aber mit "wir" genau meinte, das sagte die Meisterin der Raute aber eben nicht, und so blieb Michel und seinen Landesgenossen nur die Vermutung, dass sie wohl selbst gemeint seien. 
Gewiß, es war bestimmt ganz gut, daß mit den vielen ankommenden Menschen auch ein anderes Lüftchen im Lande wehte, darüber freute sich der Michel auch sehr. Aber er machte sich über die vielen Leute Gedanken, die mit unfreundlichen Mienen und ebensolchen Worten und sogar noch böseren Taten den "neuen" Menschen entgegentraten.  Mutti hat doch gesagt, daß das nicht mehr "ihr Land" sei, wenn wir das nicht auf die freundlichen Arte und Weise hinbekämen. Hatten diese Menschen das denn nicht verstanden? Wollten sie das nicht verstehen, oder sie es gar nicht verstehen, selbst wenn sie es wollten?
Der Michel hätte sich so gerne wieder seiner Lieblingsbeschäftigung hingegeben, dem Schlaf! Aber das war ja nicht mehr möglich, bei den immer neuen Ereignissen. Der Michel fragte dann doch einmal: "Wie, ja wie denn, sollen wir das denn schaffen können?" Das sagte die alter Hausmeisterin in etwas freundlicherem Tonfall: "Also Michel, wir hier in Deutschland können und wollen vor allem ja lieber nichts gegen die großen Machtwichtel und ihre Kriegsspiele unternehmen, denn wir liefern ja nur die Waffen und sonst haben wir ja nichts zu melden und zu sagen, wir sind ja so klein und schmächtig und vor allem ganz allein, nicht wahr? Und wir sind auch so bequem und abhängig gemacht worden, dass wir leider immer mitmachen müssen. Und jetzt dürfen wir die Menschen aus den Ländern aufnehmen, in denen andere Wichtel Krieg führen, mit dem überhaupt kein Interesse uns verbindet. So tragen wir selbst zur Politik der großen Wichtel unsern Anteil bei, ob wir das wollen oder nicht."
Der Michel hatte das wohl alles gehört und auch verstanden, aber zunächst sagte er erstmal nichts, er wollte erst dem Getöse, Getrappel und Volksgemurmel  lauschen, das vor seinem Fenster zu hören war. Dann aber fasste er sich ein Herz und fragte die Raute rundheraus: "Und wenn wir die schlimmen Wichtel davon jagen und unsere Regierung selbst in die Hand nehmen, dann könnten wir es doch besser machen, und vor allem die vielen Kriege beenden!"
Davon wollte Mutti aber gar nichts wissen. Sie schloß die Fensterläden und löschte das Licht, damit der liebe Michel bald wieder schlafen konnte. Sie ging an sein Bett, deckte in gut zu mit seiner schönen Decke, summte noch schnell den Anfang eines Schlafliedes, und ging eilends hinaus.
Den auf solche Fragen konnte die Hausmeisterin nicht gut antworten, denn in Wirklichkeit ging es ja nicht um Menschenrettung, sondern wie immer nur um die Spiele der großen Wichte, die sich bestimmt nicht von einem Michel Träumer von ihren Zielen abbringen lassen würden. Dazu musste hin und wieder mal ein neues Theaterstück auf die Bühne gebracht werden, damit niemand merkte, was hinter den Kulissen gespielt wird. Denn das sollte auf jeden Fall vor den Augen des Michel verborgen bleiben.

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